Moin Peter,
ich schieße erst seit einige Jahre Bogen und bin recht früh - eher zufällig - auf das Thema Target Panic gestoßen. Ohne selbst davon beeinträchtigt gewesen zu sein, hat mich das Phänomen total fasziniert. Ich habe in den letzten 4 Jahren ganz bestimmt nicht alles, aber doch einen erklecklichen Berg an Geschriebenem und Gefilmtem auf Deutsch und Englisch zu diesem Problembereich verschlungen.
Die schlüssigste Erklärung, da gehe ich mit roscho konform, hat eindeutig Joel Turner geliefert. Stark vereinfacht ist seine Grundannahme, dass es sich um eine zwar gut gemeinte, aber nicht zweckdienliche Einmischung des Unterbewusstseins handelt. Diese Einmischung führt zu den typischen Symptomen von Target Panic: Vollauszug nicht möglich, Ankern nicht möglich, vorzeitiges Lösen, Lösen gar nicht möglich, Erfassen des Zieles nicht möglich, Ziel kann mit Pfeilspitze o.ä. nur „überflogen“ werden. Hinzu kommt laut Turner noch, dass unnötige Bewegungen und Verspannungen des Körpers unmittelbar vor der Freigabe des Schusses diesen ungünstig beeinflussen.
Sein Weg aus dieser Knechtschaft ist das „Controlled Process Shooting“. An neuralgischen Punkten des Schussablaufes muss das Bewusstsein die Kontrolle wiedergewinnen und das Unterbewusstsein in Schach halten. Dies geschieht durch das Fassen von starken Entschlüssen, Verbalisierung von Handlungsabläufen und unter Zuhilfenahme der bereits erwähnten „mechanorezeptiven Psychotrigger“. (Diese Darstellung ist - wie gesagt – stark vereinfacht. Es gibt auch bei Turner z.B. Elemente im Schussablauf, die man tunlichst dem Unterbewusstsein überlassen sollte, weil es diese Sachen viel effizienter erledigt, als es ein konzentriertes Bewusstsein könnte.)
Leider gibt es den „ganzen“ Turner nur in Englisch und nicht umsonst! Wenn die Sprache kein Problem ist, dann empfehle ich zunächst die (selbstverständlich kostenlosen) Podcasts bei thepusharchery.com. Da kommen bestimmt 2-3 Stunden Interview und Erklärung zusammen, in denen die Methode dargestellt wird. Ergänzend dazu gibt es einige Filme bei youtube. Wirklich umfassend und bis ins Detail gehend ist aber nur sein Onlinekurs, der für 200,- $ knapp 50 Videosequenzen über etwa 2,5 Stunden bietet.
Und noch ein „Leider“ gibt es: Turners Theorie und die darauf fußende Praxis kann in ihrer Stringenz und Plausibilität so überzeugend sein, dass dir die meisten anderen Ansätze wie Stochern im Nebel vorkommen. Aus meiner Sicht sparen kannst du dir z.B. das Buch von Jay Kidwell „Einblicke ins instinktive Bogenschießen“. Der Untertitel verspricht zwar „Umgang mit Target Panic“, aber die Ursachenforschung ist einerseits so komplex und andererseits so unspezifisch, dass die „Heilungsempfehlungen“ meiner Ansicht nach etwas zahnlos wirken.
Das Buch „Goldangst“ von Thomas Sillmann kenne ich nur in der 2. Auflage. Angeblich ist darin der Teil zu den wissenschaftlichen Erklärungsansätzen gekürzt worden; was schade ist – weil das Buch gerade hier seine Stärken hat. Im praktischen Teil läuft eigentlich alles darauf hinaus, den „Surprise Shot“ - den nicht antizipierten Schuss - zu ermöglichen. Heißt im Klartext, man bräuchte einen Klicker oder besser noch ein mechanisches Release (Hinge o. Back Tension). Also man schieße doch bitte olympisch oder besser gleich Compound. Immerhin bietet er den Tradis die „Feather to Nose“-Methode, bei der die Berührung einer Pfeilfeder an der Nasenspitze den Befehl zum Lösen gibt. Aber so richtig überzeugt ist er davon selbst nicht und erwägt allerlei Einwände.
Zum Schluss vielleicht noch: Warum habe ich 200,-$ für einen Onlinekurs von irgend so einem Amerikaner auf den Kopf gehauen, wo ich noch nicht mal unter Target Panic gelitten habe? Neugier? Ja, ganz klar! Quasi akademisches Interesse? Auf jeden! Turners Charisma? Bestimmt! Entscheidend war aber, dass im „Controlled Process Shooting“ an die Stelle von Hoffnung und Tagesform das konzentrierte Bewusstsein und der unbeugsame Wille zur Kontrolle gesetzt werden. Das hat mich persönlich angesprochen; davon bin ich aber noch weit entfernt.
Dirk